Werkeigentümerhaftung im Stockwerkeigentum
Für Schäden, die durch einen Mangel an einem Gebäude verursacht werden, haftet der jeweilige Eigentümer des Gebäudes verschuldensunabhängig (Werkeigentümerhaftung; Art. 58 OR). Solange sich das Gebäude im Eigentum einer Person befindet, ergeben sich bei der Feststellung des Haftungssubjekts grundsätzlich keine Probleme, denn in aller Regel haftet der jeweilige Alleineigentümer. Bei einer Mehrheit von Grundstückseigentümern – wie beim Stockwerkeigentum – stellen sich hingegen heikle Abgrenzungsfragen, wer im konkreten Fall für den entstandenen Schaden aufkommen muss. In der Praxis stellt sich diese Frage nicht nur im konkreten Schadensfall, sondern auch bei baulichen Anpassungen des Gebäudes im Stockwerkeigentum.
Werkeigentümerhaftung im Allgemeinen
Nach Art. 58 Abs. 1 OR haftet der Eigentümer eines Gebäudes / eines Werkes für den Schaden, den dieses infolge von fehlerhafter Anlage (z.B. fehlende Abschrankung bei offener Grube) oder mangelhaften Unterhalts (z.B. Glatteis) verursacht. Diese Haftung beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der die wirtschaftlichen Vorteile des Werkes geniesst, auch für den aus dem Werkmangel entstehenden Schaden einstehen soll.[1] Die Werkeigentümerhaftung zählt zu den (einfachen bzw. gewöhnlichen) Kausalhaftungen, denn der Werkeigentümer kann sich (auch) durch den erbachten Sorgfaltsbeweis nicht von der Haftung befreien;[2] fällt beispielsweise ein Ziegel vom Hausdach und verletzt dieser einen Fussgänger, so muss der Hauseigentümer dem Fussgänger den entstandenen Schaden ersetzen – unabhängig davon, ob ihn an der Schadensverursachung ein Verschulden trifft oder nicht.
Befindet sich die Liegenschaft im Alleineigentum einer Person, dann haftet in aller Regel einzig der Alleineigentümer; von diesem Grundsatz weicht das Bundesgericht nur ausnahmsweise ab (z.B. kann das Gemeinwesen, welches aufgrund seiner besonderen Rechtstellung eine mit privatem Sacheigentum vergleichbare Sachherrschaft über das Werk ausübt, ausnahmsweise Haftungssubjekt der Werkeigentümerhaftung sein).[3] Bei einer Mehrheit von Eigentümern haften grundsätzlich alle Gesamt- und Miteigentümer solidarisch.[4] Beim Stockwerkeigentum – notabene eine qualifizierte Form des Miteigentums – gilt dies nicht absolut und es bedarf der Differenzierung; so muss zwischen gemeinschaftlichen Gebäudeteilen mit und ohne Sondernutzungsrecht sowie Gebäudeteilen im Sonderrecht unterschieden werden. Das bedarf der Erläuterung in mehrfacher Hinsicht:
Gebäudeteil im Sonderrecht
Gemäss Art. 712b Abs. 1 ZGB können insbesondere einzelne Stockwerke Gegenstand des Sonderrechts sein, sofern sie als Wohnungen oder als Einheiten von Räumen mit eigenem Zugang in sich abgeschlossen sind. Entsteht der Schaden infolge eines Mangels an einem Gebäudeteil im Sonderrecht, dann haftet nur (aber immerhin) der betreffende Stockwerkeigentümer.[5]
Gemeinschaftlicher Gebäudeteil
Die gemeinschaftlichen Gebäudeteile sind physische Elemente des Gebäudes im Stockwerkeigentum, an denen kein Sonderrecht besteht. Von Gesetzes wegen gehören dazu insbesondere der Boden der Liegenschaft und die Bauteile, die für den Bestand und die konstruktive Gliederung und Festigkeit des Gebäudes von Bedeutung sind (z.B. tragende Wände) (Art. 712b Abs. 2 ZGB). Auch wenn der Begriff «gemeinschaftlich» Gegenteiliges suggeriert, kann ein solcher Gebäudeteil durch Reglement einem Stockwerkeigentümer zur ausschliesslichen Nutzung zugewiesen werden; dem jeweiligen Stockwerkeigentümer kommt diesfalls ein sog. «Sondernutzungsrecht» bzw. «besonderes Nutzungsrecht» am gemeinschaftlichen Gebäudeteil zu. Für die Werkeigentümerhaftung muss differenziert werden, ob am gemeinschaftlichen Gebäudeteil ein Sondernutzungsrecht besteht oder nicht:
- Gemeinschaflichter Gebäudeteil ohne Sondernutzungsrecht: In der Doktrin besteht Uneinigkeit darüber, wer für Schäden haftet, welche durch einen solchen Gebäudeteil verursacht wurden.
- So wird – mit Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Miteigentum – die Ansicht vertreten, dass die Stockwerkeigentümer solidarisch haften.[6]h., der Geschädigte kann von jedem Stockwerkeigentümer jeweils den ganzen Betrag fordern. Im Innenverhältnis kann der in Anspruch genommene Stockwerkeigentümer auf die übrigen Stockwerkeigentümer Rückgriff nehmen; mangels gegenteiliger Vereinbarung hat im Innenverhältnis grundsätzlich jeder Stockwerk-eigentümer den gleichen Anteil zu übernehmen (vgl. Art. 148 Abs. 1 OR).
- In Abweichung davon vertritt ein Teil der Lehre eine anteilsmässige Haftung der Stockwerkeigentümer.[7]h., jeder Stockwerkeigentümer haftet im Umfang seines Stockwerkeigentumsanteils.
- Schliesslich ist ein Teil der Lehre der Meinung, dass in diesen Fällen nur die Stockwerkeigentümergemeinschaft eine Haftung trifft;[8] in einem nicht amtlich publizierten Entscheid hat das Bundesgericht – jedoch ohne eingehende Begründung – die Haftung der Stockwerkeigentümergemeinschaft angenommen.[9]
Insgesamt lässt sich festhalten, dass bei jeder Variante alle Stockwerkeigentümer – direkt oder indirekt – die Schadenskosten tragen müssen, wobei sich im Ergebnis Unterschiede ergeben können, wer intern welchen Anteil zu übernehmen hat. Nach hier vertretener Ansicht ist aus Praktikabilitätsüberlegungen die Haftung der Stockwerkeigentümergemeinschaft vorzuziehen.[10]
- Gemeinschaftlicher Gebäudeteil mit Sondernutzungsrecht: In der Lehre finden sich zwei Ansichten:
- Teilweise wird nicht zwischen Sonderrechten und Sondernutzungsrechten differenziert; in beiden Fällen soll einzig der betreffende Stockwerk-eigentümer haften.[11]
- Abweichend davon soll der betreffende Stockwerkeigentümer nur dann allein haften, wenn ihm ein Sondernutzungsrecht mittels Dienstbarkeit eingeräumt und die Unterhaltspflicht hinsichtlich des gemeinschaftlichen Gebäudeteils auferlegt wurde;[12] sofern diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, haftet – nach der hier vorzugswürdigen Ansicht (s. hiervor) – die Stockwerkeigentümergemeinschaft. Die Argumente dieser Lehrmeinung sind bedenkenswert, zumal das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Werkeigentümerhaftung des Gemeinwesens eine ähnliche Rechtsprechung verfolgt.[13]
Fazit
Befindet sich ein Gebäude im Stockwerkeigentum, muss jeweils sorgfältig geprüft werden, wer als Haftungssubjekt in Frage kommt:
- Bei Gebäudeteilen im Sonderecht haftet der jeweilige Sonderrechtsinhaber.
- Bei gemeinschaftlichen Gebäudeteilen ohne Sondernutzungsrecht haftet nach hier vertretener Auffassung die Stockwerkeigentümergemeinschaft.
- Bei gemeinschaftlichen Gebäudeteilen mit Sondernutzungsrecht haftet – je nach konkreter Ausgestaltung – die Stockwerkeigentümergemeinschaft oder der jeweilige Sondernutzungsberechtigte.
[1] BGE 121 III 448 E. 2c.
[2] BGer 4A_38/2018 E. 3.1
[3] BGE 121 III 448 E. 2d.
[4] Zum Miteigentum BGE 117 II 50 E. 5 = Pra 1992 Nr. 140.
[5] C. Zgraggen, Kostenverteilung und Haftung für Beiträge im Stockwerkeigentum, Luzerner Diss., Zürich u.a. 2020, Nr. 456 m.w.H.; R. Brehm, Berner Kommentar, 5. Aufl., Bern 2021, Art. 58 OR N 20.
[6] Statt vieler M. A. Kessler, Basler Kommentar, OR I, 7. Aufl., Bern 2020, Art. 58 OR N 9.
[7] Brehm (Fn. 5), Art. 58 OR N 19.
[8] Zgraggen (Fn. 5), Nr. 574 ff. m.w.H.
[9] BGer 4C.150/2003 E. 3.
[10] So auch H. Rey/I. Wildhaber, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 6. Aufl., Zürich u.a. 2024, Nr. 1285.
[11] Vgl. etwa Kessler (Fn. 6), Art. 58 OR N 9.
[12] Zgraggen (Fn. 5), Nr. 579 ff.
[13] BGE 121 III 448 E. 2d.