Die Wohnung der Familie – und was es damit auf sich hat
Das Schweizerische Recht kennt das Institut der Wohnung der Familie bzw. Familienwohnung. Im vorliegenden Beitrag wird erklärt, was eine Familienwohnung ist und welche Rechte und Pflichten daraus entstehen.
Der Begriff der Familienwohnung
Die Familienwohnung ist die Wohnung, in der Eheleute oder Paare in eingetragener Partnerschaft[1] einen gemeinsamen Haushalt führen und ihren Lebensmittelpunkt haben.[2] Als Familienwohnung gelten Miet- und Eigentumswohnungen, Häuser, Einzelzimmer oder auch Wohnmobile. Grundsätzlich hat jede Familie nur eine Familienwohnung. Nicht eingeschlossen sind Zweit- und Ferienwohnungen sowie Wohnungen, die vorwiegend der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dienen.[3] Eine Familienwohnung entsteht automatisch; beispielswiese, wenn ein bisher im Konkubinat zusammenlebendes Paar heiratet bzw. die Partnerschaft eintragen lässt. Ob das Paar Kinder hat, spielt keine Rolle. Die Familienwohnung besteht, solange sie tatsächlich den Lebensmittelpunkt der Familie bildet, unter Umständen auch noch während des Getrenntlebens oder des Scheidungsverfahrens und endet, sobald kein Rechtsschutzinteresse mehr besteht.[4]
Rechtsfolgen für Familienwohnungen
Die Wohnung der Familie wird durch das Gesetz geschützt. Darum kann über die Familienwohnung nicht in jedem Fall frei verfügt werden. Nachfolgend wird erläutert, was Eigentümer und (Ver-)Mieter von Familienwohnungen zu beachten haben.
Einschränkungen für Eigentümer
Der Eigentümer einer selbst bewohnten Familienwohnung kann eine ganze Reihe von Rechtsgeschäften, welche diese Familienwohnung betreffen, nur mit der Zustimmung seines Ehegatten abschliessen.[5] Dies gilt auch dann, wenn der verfügende Ehegatte Alleineigentümer der Familienwohnung ist. Damit soll verhindert werden, dass die Familienwohnung von einem Ehegatten eigenmächtig veräussert wird.
Als Veräusserungsgeschäft gelten neben dem Verkauf der Familienwohnung auch der Tausch, die Schenkung oder die Sacheinlage/-übernahme in eine Gesellschaft.[6] Auch Rechtsgeschäfte, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen und die Rechte an der Familienwohnung aufheben oder in unzumutbarer Weise einschränken, sind zustimmungsbedürftig. Dies sind beispielsweise die Einräumung eines Kaufrechts, Abtretung eines Mietvertrags oder von Gesellschaftsanteilen sowie auch der Verzicht auf eine Nutzniessung, ein Wohnrecht oder ein Baurecht. Unter Umständen sind auch Untervermietungen zustimmungsbedürftig. Kantonal unterschiedlich gehandhabt wird die Frage, ob auch die Aufnahme bzw. Erhöhung einer pfandrechtlichen Belastung eines Grundstückes, das die Familienwohnung bildet, die Zustimmung beider Ehegatten erfordert. Das Bundesgericht[7] hat als Faustregel festgelegt, dass die Zustimmung beider Ehegatten notwendig ist, wenn die hypothekarische Belastung zwei Drittel des Verkehrswerts des Grundstücks überschreitet.[8]
Folgen bei fehlender Zustimmung
Die Zustimmung beider Ehegatten ist für das konkrete Rechtsgeschäft gegenüber dem Vertragspartner zu erteilen und hat vor, während oder nach Abschluss des Rechtsgeschäfts zu erfolgen. Eine fehlende Zustimmung führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts.[9]
Einschränkungen für (Ver-)Mieter
Den Mietvertrag der Familienwohnung können beide Ehegatten nur gemeinsam kündigen. Dies gilt selbst dann, wenn nur ein Ehegatte den Mietvertrag unterzeichnet hat. Umgekehrt gilt für die Vermieterschaft einer Familienwohnung, dass die Kündigung auf dem amtlichen Formular beiden Ehegatten mit separatem Brief zugestellt werden muss. Daraufhin hat jeder Ehepartner für sich allein das Recht, die Kündigung bei der zuständigen Schlichtungsbehörde anzufechten.[10]
Folgen bei Scheidung
Im Falle einer Scheidung[11] kann das Gericht, unabhängig von güter- oder unterhaltsrechtlichen Ansprüchen, die Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag einem Ehegatten allein übertragen, wenn dieser auf die Wohnung angewiesen ist und die Zuweisung dem anderen Ehegatten zugemutet werden kann. Wenn die Familienwohnung im Alleineigentum eines Ehegatten ist, kann das Gericht dem andren Ehegatten ein befristetes Wohnrecht einräumen.
Fazit
Sobald eine Familienwohnung vorliegt, ist Vorsicht geboten. Selbst wenn ein Ehegatte Alleineigentümer oder alleiniger Mieter ist, kann dieser nicht allein über die Familienwohnung verfügen.
Dies ist nicht nur für das Ehepaar im internen Verhältnis von Bedeutung, sondern auch für allfällige Vertragspartner.
Vor einem Vertragsschluss sollte immer abgeklärt werden, ob das Veräusserungsgeschäft eine Familienwohnung betrifft und der Zustimmung beider Ehegatten bedarf, da ansonsten die Gefahr besteht, dass das abgeschlossene Rechtsgeschäft nichtig ist.
Für Vermieter ist es ratsam, eine Verpflichtung in den Mietvertrag aufzunehmen, wonach Zivilstandsänderungen wie Heirat oder Scheidung dem Vermieter gemeldet werden müssen.
[1] Die Bestimmungen über die Familienwohnung gelten für Eheleute und Paare in eingetragener Partnerschaft. Nachfolgend ist die Rede stets von Eheleuten, wobei die Paare in eingetragener Partnerschaft mitgemeint sind, nicht aber Konkubinatspartner:innen.
[2] Giger, in: Aebi-Müller / Müller (Hrsg.), Berner Kommentar, 2020, Art. 266m OR N 10.
[3] Weber, Der zivilrechtliche Schutz der Familienwohnung, in: AJP 2004 S. 30-44, S. 30; Schlumpf / Fraefel, in: Arnet / Breitschmid / Jungo (Hrsg.), CHK, 2023, Art. 169 ZGB N 3.
[4] Schlumpf / Fraefel, a.a.O., Art. 169 ZGB N 4; Merkblatt gemeinsam wohnen, Mieterinnen- und Mieterverband.
[5] Art. 169 ZGB, Art. 14 PartG; Schlumpf / Fraefel, a.a.O., Art. 169 ZGB N 2.
[6] Schlumpf / Fraefel, a.a.O., Art. 169 ZGB N 6.
[7] BGE 142 III 720 E. 6.1.
[8] Schlumpf / Fraefel, a.a.O., Art. 169 ZGB N 8.
[9] Schlumpf/ Fraefel, a.a.O., Art. 169 ZGB N 10.
[10] Merkblatt gemeinsam wohnen, Mieterinnen- und Mieterverband.
[11] Dies gilt auch für die gemeinsame Wohnung bei gerichtlicher Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft gemäss PartG.