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Rächtzytig

«Sharenting» – Kinderfotos im Internet

Veröffentlichen Eltern Bilder und Videos ihrer Kinder im Internet und in den sozialen Medien, spricht man von «Sharenting»

«Sharenting» – Kinderfotos im Internet

Ramin Paydar, Rechtsanwalt
Nicole Seiler, MLaw, Anwaltskandidatin

Veröffentlichen Eltern Bilder und Videos ihrer Kinder im Internet (z. B. in den sozialen Medien), spricht man von «Sharenting» («to share» und «parenting»). Welche rechtlichen Auswirkungen Sharenting auf die Rechte der Kinder hat, soll in diesem Beitrag aufgezeigt werden.

«Sharenting» in a nutshell

Das Phänomen «Sharenting» hat in den vergangenen Jahren durch die Verbreitung der sozialen Medien stark zugenommen, so auch in der Schweiz. Wie eine Umfrage der Universität Fribourg im Auftrag von Kinderschutz Schweiz zeigt, postet im Schnitt jeder zehnte Elternteil regelmässig Bilder seiner Kinder in den sozialen Medien.

Bei der Umfrage fällt auf, dass nur eine Minderheit der befragten Eltern ihre Kinder vor der Veröffentlichung um Erlaubnis fragen. Dies ist insb. problematisch, da das Posten von Kinderbildern einige Risiken mit sich bringt. Zunächst geht die Kontrolle über die Inhalte verloren, sobald diese online geteilt werden. Mitunter kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Fotos in falsche Hände gelangen oder mittels künstlicher Intelligenz verändert und missbraucht werden. Dies birgt die Gefahr, dass es zu Vorfällen von Cyber­mobbing oder Cybergrooming führen kann. Ausserdem sind sich oftmals Eltern nicht bewusst, dass Kinder eine andere Wahrnehmung hinsichtlich Kinderbilder haben: Ein Foto, welches für Eltern witzig erscheint, ist für Kinder peinlich. Problematisch sind insbesondere Aufnahmen, auf denen das Kind in einer intimen/misslichen Situation gezeigt wird (z. B. in der Badewanne oder beim Weinen).

Recht am eigenen Bild

Jeder Mensch – und damit auch Kinder unabhängig ihres Alters – verfügt über das Recht am eigenen Bild (Persönlichkeitsrecht); dieses Recht soll von der Zurschaustellung des eigenen Abbildes schützen (vgl. Art. 28 ZGB). Dieses Recht kann etwa verletzt sein (= Persönlichkeitsverletzung), wenn ein Kind – ohne dessen Zustimmung – fotografiert oder eine bestehende Aufnahme vom Kind veröffentlicht wird (z. B. auf Instagram). Inwieweit eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild vorliegt, entscheidet sich in erster Linie daran, ob das abgebildete Kind auf dem Bild identifizierbar ist oder nicht. Identifizierbarkeit liegt nicht nur bei einem (nicht verpixelten) Porträt des Kindes vor, sondern kann sich auch aus den vorhandenen Kontextinformationen ergeben (Geburtsdatum des Kindes, Name der Eltern etc.). Mit anderen Worten: Selbst Abbildungen, welche etwa das Kind von hinten zeigen, können u. U. problematisch sein, soweit die Identifikation über (weitere) Kontextinformationen möglich bleibt.

Veröffentlichung von Kinderfotos

Beabsichtigen die Eltern Kinderfotos in den sozialen Medien zu veröffentlichen, haben sie – wie gesehen – zuerst vorfrageweise zu prüfen, ob sich das Kind auf dem Foto (ggf. im Zusammenhang mit den vorhandenen Kontextinformationen) identifizieren lässt. Kann diese Frage verneint werden, dann steht einer Veröffentlichung grundsätzlich nichts im Wege.

Handelt es sich hingegen um eine Aufnahme, auf welchem das Kind identifizierbar ist, muss vor deren Veröffentlichung zweierlei geprüft werden: Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob das Kind in diesem Zusammenhang urteilsfähig ist oder nicht (1.). In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, wer über die Veröffentlichung entscheidet (2.). Im Einzelnen:

1. Urteilsfähigkeit setzt vernunftgemässes Handeln voraus (vgl. Art. 16 ZGB).[1] Ein Kind ist demnach urteilsfähig, wenn es in der Lage ist, eine konkrete Situation zu erfassen, die entsprechenden Folgen seines Handelns abzuschätzen und seiner Beurteilung entsprechend zu handeln. Ob Urteilsfähigkeit besteht, beurteilt sich stets mit Bezug auf die konkrete zur Diskussion stehende Handlung («Relativität der Urteilsfähigkeit»); je komplexer ein Rechtsgeschäft, desto höher sind die Anforderungen an die Fähigkeiten zum vernunftgemässen Handeln.

Ab welchem Alter die Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Veröffentlichung von (Kinder-)Fotos gegeben ist, lässt sich nur schwer abstrakt beantworten. Ein Kleinkind ist wohl nicht in der Lage abzuschätzen, was eine Veröffentlichung eines seiner Bilder im Internet auslöst und wie es sich auf seine Privatsphäre auswirken könnte. In der Doktrin werden in diesem Zusammenhang verschiedene Altersgrenzen genannt. Nach Auffassung der Autorenschaft ist es durchaus plausibel, dass einem Kind bereits im Alter von sechs/sieben Jahren in diesem Zusammenhang die Urteilsfähigkeit zukommt. Spätestens im Alter von dreizehn Jahren besteht nach hier vertretener Auffassung kein Zweifel mehr daran, dass Kinder in diesem Bereich urteilsfähig sind.[2]

2. Wer darf ein Bild veröffentlichen? Wenn feststeht, ob ein Kind urteilsfähig ist oder nicht, ist in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, wer das Kinderfoto veröffentlichen kann bzw. wer der Veröffentlichung zustimmen muss. Nach unserer Auffassung ist wie folgt zu differenzieren:

  • Ist das Kind urteilsfähig, übt es seine höchstpersönlichen Rechte – wie das Recht am eigenen Bild – selbst aus (Art. 19c Abs. 1 ZGB); d. h., das Kind handelt in diesem Bereich selbst und die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern entfällt. Sprich, Sharenting ohne Zustimmung bzw. gegen den Willen des Kindes ist nicht zulässig. Es gilt zu beachten, dass eine allfällige Zustimmung freiwillig erfolgen muss; eine Zustimmung unter Zwang (unter Druck setzen, Konsequenzen androhen etc.) ist unwirksam.
  • Ist ein Kind urteilsunfähig, wird es von Gesetzes wegen durch seine Eltern im Rechtsverkehr vertreten (Art. 304 ZGB). Dieses gesetzliche Vertretungsrecht gilt jedoch nicht uneingeschränkt – es findet insb. seine Grenzen im Kindeswohl. Bei einer Interessenkollision entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse der Eltern in der entsprechenden Angelegenheit (Art. 306 Abs. 3 ZGB). Nach hier vertretener Auffassung liegt beim Sharenting ein solcher Interessenkonflikt vor: Einerseits sind die Eltern durch das Veröffentlichen der Bilder die Verursacher der Persönlichkeitsverletzung, anderseits haben sie in diese Verletzung für das Kind eingewilligt. Entsprechend entfällt nach hier vertretener Auffassung die Vertretungsmacht der Eltern; in einem solchen Szenario müsste also die KESB beigezogen werden, die ihrerseits Massnahmen ausspricht (u. a. Ernennung eines Beistandes; Art. 306 Abs. 2 OR). – In der Praxis wird ein solches Vorgehen die Ausnahme darstellen; vielmehr muss an die Selbstverantwortung der Eltern appelliert werden, vom Teilen der Bilder ihrer Kinder abzusehen – insb. bei Fotos, auf denen das Gesicht des Kindes erkennbar ist und auf denen das Kind in einer intimen Situation gezeigt wird. Als Entscheidungshilfe hat bspw. Kindesschutz Schweiz eine Checkliste veröffentlicht, die Fragen enthält, welche Eltern sich stellen sollten, bevor sie ein Bild ihres Kindes in den sozialen Medien teilen.

Fazit

Das Teilen von Kinderfotos im Internet durch ein Elternteil (Sharenting) hat – wenn möglich – immer nur mit der Zustimmung des Kindes zu erfolgen. Ist das Kind zu jung (sprich urteilsunfähig), um die Zustimmung zur Veröffentlichung zu erteilen, sollten die Eltern auf eine Veröffentlichung von Kinderfotos verzichten – zum Wohle des Kindes!

[1] Urteilsfähigkeit ist nicht zu verwechseln mit der Handlungsfähigkeit. Handlungsfähigkeit besitzt, wer volljährig und urteilsfähig ist (Art. 13 ZGB).

[2] Vgl. auch die Richtlinien des Meta-Konzerns, wonach Kinder mit dreizehn Jahren selbständig – d.h. ohne Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters – ein Profil erstellen und betreiben können.

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