Eigenmietwert: Abschaffung, Härtefälle und Gleichbehandlungsgrundsatz
Mit Urteil vom 4. August 2022 hat sich das Bundesgericht zur Frage der Zulässigkeit einer Härtefallklausel für Rentner im Kanton Tessin im Rahmen der Eigenmietwertbesteuerung geäussert. Das Tessiner Konzept sah zur Entlastung der Rentner vor, dass bis zu einem gewissen Vermögen der Eigenmietwert nicht über 30% der Bareinkünfte liegen dürfe. Dieses Konzept wurde vom Bundesgericht als verfassungswidrig beurteilt. Gleichzeitig hat sich der Nationalrat für die Abschaffung des Eigenmietwertes ausgesprochen und arbeitet an einer entsprechenden Vorlage. Nachfolgender Beitrag soll den aktuellen Stand der Gesetzesanpassung darlegen und das kürzlich ergangene Bundesgerichtsurteil einordnen.
Wie sieht die gesetzliche Regelung heute aus?
Wohneigentümerinnen müssen den Eigenmietwert auf Ebene Bund und Kanton versteuern. Die Höhe des zu versteuernden Eigenmietwerts beläuft sich in Bund und Kantonen auf einen gewissen Prozentsatz des Markmietwerts, wobei der Eigenmietwert auf kantonaler Ebene etwas tiefer liegen darf als auf Bundesebene. Deshalb kann der Eigenmietwert bei der direkten Bundessteuer höher ausfallen als bei der Kantons- und Gemeindesteuer.
Einige Kantone kennen im Rahmen der Eigenmietwertbesteuerung Härtefallklauseln. Gemäss diesen sollen Rentner mit tiefen Bareinkommen und abbezahlten Hypotheken einen tieferen Eigenmietwert versteuern müssen.
Was wird im Parlament diskutiert?
Im Parlament wird aktuell bzw. ein weiteres Mal die gänzliche Abschaffung des Eigenmietwerts diskutiert. Eine parlamentarische Kommission schlug die Abschaffung des Eigenmietwerts unter gleichzeitiger Beibehaltung bestimmter Abzüge vor. Alternativ wurde auch eine Härtefallklausel, wie diese in verschiedenen Kantonen besteht, diskutiert. Diskussionen darüber im Parlament halten an, letztens wurde anlässlich der Herbstsession 2022 darüber befunden.
Wie äussert sich das Bundesgericht jüngst zum Eigenmietwert?
Im Entscheid vom 4. August 2022 (BGE 2C_605/2021) hat sich das Bundesgericht mit der Thematik der Härtefallklausel für Rentner im Kanton Tessin befasst. In seinem Urteil verwies das Bundesgericht auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach der Eigenmietwert in den Kantonen nicht weniger als 60% des Marktmietwerts betragen darf.
Das Bundesgericht sah in der Härtefallklausel im Kanton Tessin einen Verstoss gegen den Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung von Wohneigentümerinnen und Mietern und hob die angefochtene Bestimmung in der Folge auf.
Das Bundesgericht erachtet dementsprechend die Besteuerung des Eigenmietwerts insbesondere aufgrund der Notwendigkeit der Gleichbehandlung von Mietern und Wohneigentümerinnen für gerechtfertigt.
Wie ist das Bundesgerichtsurteil vom 4. August 2022 mit Blick auf die bestehenden kantonalen Regelungen und die parlamentarischen Diskussionen einzuordnen?
Das Bundesgerichtsurteil stellt kantonale Härtefallklauseln mit seinem kürzlich ergangenen Urteil in Zweifel. So führte es auch aus, dass nur weil andere Kantone eine entsprechende Härtefallklausel kennen würden, dies nicht zur Kopie berechtigen bzw. vor der Verfassungswidrigkeit schützen würde. Nicht ausgeschlossen dürfte allerdings sein, dass das Bundesgericht eine Härtefallklausel als zulässig erachten würde, welche als untere Grenze vorsieht, dass der Eigenmietwert 60 Prozent der Marktmiete nicht unterschreiten darf.
Nach Ergehen des Bundesgerichtsurteils befasste sich das Parlament in der Herbstsession erneut mit der Vorlage zur Abschaffung des Eigenmietwerts. Nicht ersichtlich ist, dass das ergangene Bundesgerichtsurteil ausdrücklich diskutiert wurde. Trotzdem fanden Diskussionen über eine weitere Überarbeitung der Vorlage unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz statt. Schlussendlich ist der Nationalrat auf die Vorlage eingetreten, wies die Vorlage jedoch unmittelbar an die damit befasste Kommission zur Überarbeitung zurück. Wann und ob eine zustimmungsfähige Vorlage vorliegen wird, ist nicht abschätzbar. Die Thematik wird also auch zukünftig Anlass zu parlamentarischen und gerichtlichen Prüfungen geben.