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Rächtzytig

Das Näherbaurecht: Wer zuerst baut, mahlt zuerst

Das Näherbaurecht: Wer zuerst baut, mahlt zuerst

Es kommt in der Praxis oft vor, dass Grundeigentümer Vereinbarungen abschliessen, welche die bauliche Nutzung eines Grundstücks erweitern oder einschränken. Oft geschieht dies durch die Begründung eines gegenseitigen Näherbaurechts. Die Begründung eines gegenseitigen Näherbaurechts ist in der Praxis jedoch oft mit falschen Erwartungen verbunden.

Bei der Beurteilung eines Bauprojekts berücksichtigen die Baubewilligungsbehörden ausschliesslich die öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften. Daran ändert sich auch nichts, wenn privatrechtlich ein Dienstbarkeitsvertrag abgeschlossen und im Grundbuch eingetragen wurde. Baubewilligungen werden nur erteilt, wenn die geplante Baute oder Nutzungsart den geltenden öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften entspricht. Es sind insbesondere die nach öffentlichem Recht geltenden Gebäudeabstände einzuhalten. Im Kanton Bern gelten für die massgebenden Gebäudeabstände die Vorschriften der jeweiligen Gemeinden (Art. 12 BauG BE).

Das Bundesgericht hatte im Urteil 5A_955/2022 vom 26. Mai 2023 über ein gegenseitiges Näherbaurecht zu entscheiden. Zur bildlichen Veranschaulichung des konkreten Falls, wird auf die nachfolgende Skizze verwiesen. Im konkreten Fall haben sich die Parteien (Nachbarparzellen) gegenseitig das Recht eingeräumt, bis auf einen Meter an die gemeinsame Grenze zu bauen (Näherbaurecht grün eingezeichnet). Dieses gegenseitige Näherbaurecht wurde im Grundbuch auf beiden Grundstücken eingetragen. Der Eigentümer des Grundstücks Nr. 1 beabsichtigte im Jahr 2019, das bestehende Gebäude auf seinem Grundstück abzureissen und ein Mehrfamilienhaus zu bauen. Für den Bau dieses Mehrfamilienhauses liegt eine rechtskräftige Baubewilligung vor. Gemäss der Baubewilligung wird ein Grenzabstand von 110 cm eingehalten (rot eingezeichnet). In der entsprechenden Gemeinde darf der Gebäudeabstand nach öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften nicht weniger als acht Meter betragen (violett eingezeichnet). Dies bedeutet, dass auf dem Grundstück Nr. 2 bei einem allfälligen späteren Bau eines Gebäudes der Abstand von 690 cm von der gemeinsamen Grenze aus gemessen, eingehalten werden müsste.

Das Näherbaurecht: Wer zuerst baut, mahlt zuerst

Die Grundeigentümer des Grundstücks Nr. 2 klagten nun unter Verweis auf den privatrechtlichen Dienstbarkeitsvertrag, nach welchem sie berechtigt wären, bis ein Meter an die Grenze zu bauen. Vor dem Bundesgericht machten sie geltend, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt das Näherbaurecht gar nicht mehr ausüben können, da der öffentlich-rechtliche Gebäudeabstand einzuhalten sei.

Es stellt sich vorliegend die Frage, welche Konsequenzen der noch nicht bauende Nachbar zu tragen hat, wenn der erstbauende Nachbar das Näherbaurecht beansprucht. Das Bundesgericht hält zu dieser Frage fest, dass privatrechtliche Näherbaurechte grundsätzlich nur im Rahmen des öffentlich-rechtlich Zulässigen begründet werden können. Öffentlich-rechtliche Gebäudeabstände können die beidseitige Umsetzung des Näherbaurechts ausschliessen. Dies führt dazu, dass der Zweitbauende später bei einem eigenen Bauprojekt von der Grenze abrücken muss, sofern die Parteien nicht bereits im Dienstbarkeitsvertrag selbst entsprechende Regelungen zur Abrückungspflicht getroffen haben.

Fazit

Es ist klar, dass mittels einer privatrechtlichen Vereinbarung nicht von den öffentlich-rechtlichen Bau- und Abstandsvorschriften abgewichen werden kann. Dies hat zur Folge, dass der Erstbauende von seinem Näherbaurecht Gebrauch machen kann, während der Zweitbauende die öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften einzuhalten hat und deshalb an der Ausübung seines Näherbaurechts oft gehindert ist. Der Gebäudeabstand ist vom Zweitbauenden grundsätzlich einzuhalten, es sei denn das entsprechende Baureglement sehe eine geschlossene Bauweise vor. Von einer Ausnahmebewilligung der Baubehörde darf jedoch nicht im Voraus ausgegangen werden.

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